Stimmungsvolles Vorlesen
Von der Kunst, seine Stimme einzusetzen
„Stimm(ungs)voll“ vorlesen? Wie kann oder muss man sich dies denn vorstellen? Was kann jeder Einzelne, der sich der Welt der Bücher verschrieben hat, tun, um das Maximale aus seiner eigenen Stimme herauszuholen?
Diesen Fragen und vielen weiteren stellte sich Workshopleiterin Michaela Striebich aus Heidelberg, die mit den jungen und doch bereits erfahrenen Vorlesern der Alfred-Delp-Schule einen interessanten und informativen Nachmittag zu eben diesem Thema verbrachte. Wer nun glaubte, die Arbeit als „Lesescouts“ in den letzten drei Jahre mit all ihren Events habe jedes Vorlese-Geheimnis lüften können, der irrt. Noch immer gibt es Neues zu entdecken und in die eigene Lesewelt zu integrieren. Die Stiftung Lesen als Partnerin dieser Aktion fördert auf ganz unterschiedliche Weise die Lesekompetenz und Lesefreude junger Menschen. Mit ihren Workshops sprechen sie die Jugendlichen an und leisten viel zur Motivation und Eigeninitiative der in die Aufgabe des Vorlesens Involvierten.
Dreieinhalb intensive Stunden lang waren die „PfadfinderInnen“, die sie noch immer sind, unterwegs, um auch zukünftig ihre – jüngeren – Mitschüler, insbesondere die der Gemeinsamen Orientierungsstufe, fürs Lesen und Versinken in fremde Welten zu begeistern. Kurzweilig und abwechslungsreich gestaltete sich die gemeinsam verbrachte Zeit, die wieder einmal in aller Deutlichkeit zeigte, wie wichtig Stimmbildung ist. „Die Stimme ist ein Muskel“, erfuhren die Jugendlichen. „Mim, Mem, Mam, Mom und Mum“, klang es aus allen Kehlen. Der Musikraum war ein einziger „Spiel- und Trainingsplatz“ für diesen allzu oft vernachlässigten kleinen Muskel. Daneben sprangen Tennisbälle zwischen den jungen Leuten hin und her. Der Ton wurde so lange gehalten, bis der Ball den Partner erreichte. Aufgelöst durch Gelächter wurde diese lockere Übung, wenn sich die Wurfobjekte irgendwo in der Luft kreuzten und berührten und somit das angezielte Gegenüber gar nicht erreichten. Die eigene Indifferenz-Stimmlage lässt sich hiermit leicht auffinden, Räuspern an sich sollte man unbedingt vermeiden. Besser ist es zu summen, Wörter mit den Anfangsbuchstaben „M“ und „N“ zu nutzen und richtig zu atmen. Mit der Hand auf dem Bauch übten sich die Jugendlichen denn darin und bemerkten schon nach kürzester Zeit eine deutliche Veränderung. Nur wer über genügend Luft verfügt, kann gut und insbesondere akzentuiert vorlesen. Vibrationen am Kehlkopf verdeutlichen zum einen die nötige Resonanz, zum anderen sind es die Schwungübungen im Rhythmus, die eine positive Korrektur herbeiführen.
Als ein Beispiel für das Auffinden eines gemeinsamen Sprechrhythmus diente der Refrain aus der allseits bekannten Goethe-Ballade „Der Zauberlehrling“. Bei „Walle! Walle/Manche Strecke,/dass, zum Zwecke,/Wasser fließe/und mit reichem, vollem Schwalle/zu dem Bade sich ergieße“ fühlten sich alle dazu eingeladen, sich im gleichen Takt vor und zurück zu bewegen. Dabei spürten sie, wie eng doch die eigene Stimme, der Ausdruck und die Betonung hiermit verknüpft sind. Was muss betont werden? Wann muss ich ein- und wann ausatmen? Wie ist die Stimmung? Fühlt sich die Person traurig oder ist sie glücklich? Wie gelingt es mir, die sogenannte Staupause einzuhalten? Fragen, denen die Jugendlichen Mia-Leann, Catleen, Emely und Franz mit ihren Lehrerinnen Susanne Schnörr und Claudia Römer nachspürten. Ein wechselseitig vorgetragener Text zum Fliegen in aufrechter Haltung mit dazu passend eingesetzter Gestik ließ den Unterschied zum sitzenden Vorlesen deutlich werden. „Die Arme sind ein probates Mittel, um akzentuiert und punktgenau das vorzutragen, was einem wichtig ist. Zudem darf man nicht vergessen, die Pausen an den richtigen Stellen zu positionieren“, erklärte die äußerst empathisch und schülerorientiert arbeitende Referentin Michaela Striebich. „Habt ihr ein Referat zu halten und seid nervös, so kann es hilfreich sein, ein Bein etwas nach vorne zu stellen und sich leicht mit dem Oberkörper hin und her zu bewegen“, verriet sie des Weiteren.
Klar ist, dass Betonung, Lesetempo, Lautstärke, Artikulation und eben auch Haltung eng zusammenhängen und als ein Ganzes gesehen werden müssen. Will man andere mit seinen Worten und Texten fesseln und in ferne Sphären entführen, so sind diese Punkte einzuhalten und stets zu bedenken.
Eine kurze Gruppenarbeit vertiefte die Bedeutung der geübten Wege zum richtigen und gewinnbringenden Stimmeinsatz. Gestärkt durch das Feedback aller trug jeder Jugendliche eine eigene Textstelle aus einem mitgebrachten Lieblingsbuch vor. Das Leseergebnis berührte jeden im Team. So unterschiedlich die jungen Menschen sind und so anders ihre Werke, ihnen allen gelang es, einen Moment der absoluten Stille und tiefen Emotionalität zu kreieren.
Das Gelernte wird die jungen Leute gewiss zu allen weiteren Projekten begleiten, die in der näheren Zukunft anstehen. Michaela Striebich und der Stiftung Lesen sei Dank, einen solch qualitativ wertvollen Workshop angeboten zu bekommen, der jedem Buchfreund dabei hilft, sein eigenes (Stimm-)Ich besser kennenzulernen!
Autorin: Claudia Römer